Das Vallée de Joux ist eine Wiege der Schweizer Uhrmacherkunst. Die lokale Geschichte dieser Industrie und ihrer Begründer ist sehr spannend!
Ob als Kenner oder auch nicht: Unsere Augen beginnen zu glänzen, wenn sie das Glück haben, unbezahlbare Uhren der Haute Horlogerie zu bewundern. Die kostbaren Materialien werden durch ein von Finesse und Technologie geprägtes Know-how sublimiert. Als Schöpferinnen dieser Miniaturkunstwerke haben prestigereiche Marken seit Jahrhunderten ihren Sitz im Vallée de Joux.
Das Vallée de Joux ist in erster Linie wegen seiner Naturschönheiten anziehend: Der gleichnamige See (Lac de Joux), der Risoud-Wald und von Trockenmauern durchzogene Weiden bilden einen zauberhaften Rahmen. Grosser Beliebtheit erfreut sich diese wildromantische Landschaft auch bei den Akteuren einer jahrhundertealten Industrie, die in der DNA der Region verankert ist. Uhrenmanufakturen bilden die Lebensgrundlage des Vallée de Joux und ernähren und inspirieren sich im Gegenzug von der natürlichen Umgebung, in der sie entstanden sind. Grosse Marken üben auf uns alle eine immer stärkere Faszination aus. Mit der Folge, dass Führungen und Workshops in der Region florieren – eine Gelegenheit, diese oft unerschwinglichen Juwele mit den eigenen Händen zu berühren. Industrie und Natur, Vergangenheit und Gegenwart, Geheimnisse und Offenheit: Diese Gegensätze waren sich noch nie so nahe, um eine Harmonie der Kontraste mit unwiderstehlicher Anziehungskraft zu bilden!
Am Espace Horloger, einem modernen und interaktiven Museum, führt kein Weg vorbei, wenn man die Geschichte der Uhrmacherkunst auf sich einwirken lassen und den Aufschwung dieser Industrie im Vallée de Joux verstehen möchte. Filme, Touchscreens und selbstverständlich historische Uhren zeigen Ausbildungen und Berufe auf – ein Ziel des Espace Horloger ist die Nachwuchsförderung –, aber auch die internationale Geschichte der Ursprünge der Zeitmessung und schliesslich die Entwicklung der Uhrmacherkunst in der Region.
Die beiden bekanntesten Marken des Vallée de Joux, Audemars Piguet und Jaeger-LeCoultre, öffnen seit Kurzem ihre Türen für Besucher. Das Musée Atelier Audemars Piguet sorgt weit über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus für Aufsehen. Laurence Rochat, eine der Projektverantwortlichen, stammt aus der Region und hatte mit ihrer Bronzemedaille im Skilanglauf an den Olympischen Spielen 2002 von Salt Lake City Berühmtheit erlangt. Nur wenige wissen hingegen, dass diese Einwohnerin des Vallée de Joux seit ihrer Lehre 1995 bei Audemars Piguet arbeitet. «Audemars Piguet ist genau wie der Sport Teil meines Lebens», hält Laurence Rochat fest.
Die Olympiamedaillengewinnerin macht keinen Hehl aus ihrem Stolz, als sie uns durch das Museum führt, das aus dem ursprünglichen Atelier der Firmengründer und einem neuen Glasbau mit begrüntem Dach besteht, der mit der Natur verschmilzt: «Dieser Ort verkörpert die Werte von Audemars Piguet, ohne Vergangenheit baut man keine Zukunft auf.» Es handelt sich in der Tat um die einzige Marke der Haute Horlogerie, die noch den Gründerfamilien gehört. Das Museum, das sich ausschliesslich im Rahmen einer Führung in Kleingruppen besichtigen lässt, präsentiert 300 Uhren, darunter eine wahre Rarität: die «Universelle» von 1899, eine der komplexesten Uhren ihrer Zeit. Uhrenliebhaber werden bald Meisterklassen besuchen können, dort, wo für Audemars Piguet alles begonnen hat, und sich, warum auch nicht, einen Aufenthalt in dem Hotel gönnen, das die Manufaktur demnächst eröffnen wird. Etwas weiter, in Le Sentier, ist Jaeger-LeCoultre ein weiteres zweihundert Jahre altes Aushängeschild des Vallée de Joux. Regelmässig angebotene Besichtigungen der Manufaktur bieten Gelegenheit, die zahlreichen Innovationen zu entdecken, die der Marke zu verdanken sind – wie die dünnste Uhr ihrer Zeit –, aber auch historische Modelle wie die legendäre Reverso mit einem Wendegehäuse, das das Zifferblatt schützt. Selbst wenn die Namen Audemars Piguet und Jaeger-LeCoultre immer noch zu den bekanntesten der Region gehören, zählt das Vallée de Joux rund dreissig Unternehmen der Uhrenbranche. Um sich einen vollständigen Überblick zu verschaffen und sich vielleicht auch etwas Besonderes zu gönnen, werden Kunden und Neugierige in der Boutique Helvetica Horlogerie willkommen geheissen. In Schaukästen sind rund hundert Uhrenmarken unterschiedlicher Preiskategorien ausgestellt. Das Konzept der «Watch Days» würdigt dieses Know-how, sei es in den weltbekannten Manufakturen oder bei berühmten unabhängigen Uhrmachern wie Philippe Dufour und Olivier Piguet, dessen Einführungen in die Uhrmacherkunst Monate im Voraus ausgebucht sind.
Das erste Uhrenunternehmen im Vallée de Joux wird 1748 vom Einheimischen Samuel-Olivier Meylan gegründet, der sich in Rolle und Moudon ausgebildet hat, den beiden ersten Uhrmacherzentren im Kanton Waadt. Parallel dazu werden auf der kantonalen Ebene neue Reglemente eingeführt, um eine Organisation zu begünstigen, die auf Netzwerken spezialisierter, in Heimarbeit tätiger Lieferanten beruht. Den Bewohnern des Vallée de Joux eröffnet sich damit eine wunderbare Gelegenheit, ihre hauptsächlich landwirtschaftlichen Berufe zu ergänzen, indem sie die langen Wintermonate mit einer Erwerbsarbeit verbringen, die sie ausüben können, ohne das Haus zu verlassen, vor dem manchmal reichlich Schnee liegt.
Die Häuser verändern sich allmählich, um sich dem Doppelleben der Bauern im Vallée de Joux anzupassen. Die sogenannten «Uhrmacher-Bauernhäuser», die heute noch zu sehen sind, zeichnen sich durch ihre vielen Fenster aus, die auf der der Wintersonne zugewandten Hausseite bis unter das Dach hinaufreichen. Die Uhrmacher-Bauern sichern sich damit möglichst viel Licht, um die winzigen Teile zu bearbeiten. Alle Voraussetzungen sind nun gegeben, damit sich die Uhrmacherkunst im Vallée de Joux schnell entwickeln kann: Werte und eine Mentalität, die den Erfindergeist und das handwerkliche Geschick fördern, vor allem aber die Eisenvorkommen in der Region und somit Fachkenntnisse für die Bearbeitung von Metallgegenständen. Während sich die Vorkommen allmählich erschöpfen, lernen die Bewohner, immer kleinere Teile anzufertigen und erwerben ein grosses Gespür für Feinheiten.
Im Laufe der Jahre gewinnt dieses uhrmacherische Know-how an Ansehen, dennoch arbeiten die Handwerker des Vallée de Joux lange Zeit für Genfer Manufakturen. So auch Familie Capt, deren Nachkomme David Candaux das Uhrmacher-Bauernhaus von 1853 renoviert hat, um darin seine eigene Marke unterzubringen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird in diesem Gebäude eine der damals kompliziertesten Uhren hergestellt. Denn das Vallée de Joux ist ein Paradies für Komplikationen. Im Uhrmacherhandwerk nennt man «Komplikationen» alle anderen Funktionen als die Anzeige von Stunden, Minuten und Sekunden. Es handelt sich zum Beispiel um Schlagwerke, das berühmte hier erfundene Tourbillon (eine sich drehende Vorrichtung, die die Ganggenauigkeit verbessert), Zeitmessfunktionen oder die Datumsanzeige (kniffliger als man denkt, gilt es doch die unterschiedliche Anzahl Tage pro Monat und die Schaltjahre zu berücksichtigen).
Davids Vater Daniel Candaux weiss, wovon er spricht, hat er doch an mehreren Modellen gearbeitet, die zu den kompliziertesten der Welt gehören. «Ich habe mich eingehend mit Uhren beschäftigt! Selbst trage ich trage aber keine, ich habe schöne Fotos, das ist alles, was mir bleibt», meint er lachend, während er durch sein Erinnerungsalbum blättert. Er, der seinen Sohn weiterhin in der Werkstatt unterstützt, stellt fest: «Ich arbeite nicht, ich amüsiere mich. Es ist erstaunlich, aber ich hatte in meinem Leben nie den Eindruck, zu arbeiten!»
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gerät das Uhrmacherhandwerk in eine Krise. Grund dafür ist die Konkurrenz durch die Industrialisierung und durch Ausbildungsangebote in Nachbarregionen. Doch die Branche passt sich an, es entstehen Manufakturen, die schliesslich unter eigenem Namen Uhren produzieren und verkaufen. David Candaux’ Kommentar dazu: «Es macht sich einfach besser, wenn alles an einem Ort gefertigt wird.» Mehr denn je investieren die grossen Uhrenhäuser ins Vallée de Joux, wohlwissend, dass dessen Eigenart in ihrer DNA verankert ist. Sie sind im lokalen Leben allgegenwärtig und ein eigentlicher Motor für die gesamte Wirtschaft. Fast alle Veranstaltungen, Vereine und öffentlichen Infrastrukturen werden von diesen Unternehmen unterstützt, die mehr Angestellte haben als die Region Einwohner zählt. Um ihnen qualifizierte Arbeitskräfte zu garantieren, wird 1901 die Technische Schule des Vallée de Joux eröffnet.
Als Wiege der Uhrmacherkunst lädt dazu ein, sich Zeit zu nehmen. Nur wer länger bleibt, kann die Harmonie der Kontraste einer Region auf sich einwirken lassen, wo man auch viel unternehmen kann. In die Welt der Uhren eintauchen, im Risoud-Wald wandern gehen, erkunden oder am nächsten Tag am Ufer des Lac de Joux Velo fahren: Dies ist nur ein Überblick über die grosse Auswahl an Aktivitäten, die Sie hier erwarten. Um diesem vielfältigen Freizeitangebot die gewisse Würze zu verleihen, sollten Sie unbedingt Einheimische kennen lernen. Die Combiers, wie die Einwohner des Vallée de Joux heissen, sind für ihren einzigartigen Charakter bekannt, bodenständig und weltoffen zugleich. Werte, die sie mit den Manufakturen teilen, die sie alle direkt oder indirekt kennen. Viel lieber sprechen sie aber über einige regionale Spezialitäten wie den Weichkäse Vacherin Mont-d’Or AOP, den Gruyère d’Alpage AOP, Enzianschnaps oder Fische aus dem Lac de Joux – alles Produkte, die man am besten vor Ort geniesst!
Ein Erzeugnis der Haute Horlogerie ist viel mehr als ein Objekt, das die Zeit angibt. Schon in den Anfängen dieses sowohl technischen als auch künstlerischen Savoir-faire haben alle Grossen dieser Welt als Statussymbol eine Schweizer Uhr getragen. Bereits 1783 fertigt der Neuenburger Abraham Louis Breguet für Marie-Antoinette von Österreich die komplizierteste Taschenuhr der damaligen Zeit. Wie viele komplizierte Uhrwerke wird auch dasjenige dieses Prachtexemplars im Vallée de Joux zusammengefügt. Heute verkauft Breguet eine Nachbildung dieses legendären Modells. Nach Marie-Antoinette besassen auch Ludwig XVI., Napoleon Bonaparte und Winston Churchill Kreationen von Breguet.
Viel später gelingt es der Schweizer Marke Omega, das Pflichtenheft der Nasa zu erfüllen und entwickelt die «Moonwatch», die bei sechs Mondflügen zum Einsatz kommt. Ihr Uhrwerk verdankt sie dem Hause Piguet im Vallée de Joux. Abgesehen vom Mond war ein wenig Vallée de Joux auch schon auf dem Meeresgrund. Die in den 50er-Jahren von der französischen Marine bestellte Taucheruhr «Fifty Fathoms» von Blancpain ist vor allem dafür berühmt, dass sie vom Ozeanforscher Jacques-Yves Cousteau im Film «Die schweigende Welt» getragen wurde.
Mit der Zeit haben die Manufakturen verstanden, dass die Verpflichtung von Persönlichkeiten oder das Erscheinen ihrer Produkte in Filmen die beste Werbung ist. Diane Kruger, Jean Dujardin, Al Pacino und Eva Mendes zeigen sich mit Modellen von Jaeger-LeCoultre, Brad Pitt trägt eine Uhr von Blancpain, während Serena Williams, Patrick Bruel, Stan Wawrinka, Arnold Schwarzenegger und Lionel Messi zu den offiziellen Botschaftern von Audemars Piguet gehören. Sie alle sind regelmässig im Vallée de Joux zu Besuch, aber immer sehr diskret. Den einzigen Hinweis, den die Einwohner erkennen, sind die Fahnen in den Farben des Heimatlandes des jeweiligen Tagesgasts am Eingang zu den Manufakturen…